
Brennpunkt Wohnungswirtschaft
Baukosten, Bürokratie & Klimaneutralität:
So kommen wir aus der Krise!
Wer sich ein wenig mit dem Wohnungsmarkt beschäftigt, und Leserinnen und Leser unseres Geschäftsberichts zählen wir ausdrücklich dazu, weiß, dass es viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum gibt, dass viel zu wenig gebaut wird und dass unsere Gesellschaft mittel- und langfristig auf ein Problem mit immenser Sprengkraft zusteuert. Doch warum ist es offenbar so schwierig, tragfähige Lösungen umzusetzen? Und wie kann dieses Dilemma nachhaltig aufgelöst werden? Diesen Fragen möchten wir in unserem Brennpunktthema nachspüren und Antworten finden.
Die Politik weiß Bescheid
„Bezahlbarer Wohnraum ist die soziale Frage unserer Zeit,“ sprach unser ehemaliger Bundesbauminister Horst Seehofer am 13. September 2018. Und auch für unseren neuen Bundeskanzler Friedrich Merz ist bezahlbares Wohnen „eine der wichtigsten sozialen Fragen unserer Zeit“. Schön, aus „der“ sozialen Frage unserer Zeit ist also in den vergangenen sieben Jahren „eine der wichtigsten“ geworden. Man kann also optimistisch festhalten, dass die Politik die Notwendigkeit von bezahlbarem Wohnraum durchaus erkannt hat. Fairerweise muss man sagen, dass dieser Erkenntnisgewinn nicht sonderlich beeindruckend ist. Denn dass es für eine Gesellschaft nicht förderlich ist, wenn sich Menschen keine Wohnung mehr leisten können oder den Großteil ihres Einkommens für die Miete aufwenden müssen, ist so klar wie selbstverständlich. Interessanter wird es bei der Frage, welche Handlungen man aus dieser Erkenntnis ableitet. Auch hier zeigt sich die Politik überraschend einig: 2018 versprach Horst Seehofer „1,5 Millionen neue Wohnungen bis Ende 2021“. Olaf Scholz münzte dieses Versprechen in eine Forderung nach „400.000 Wohnungen pro Jahr“ um und Friedrich Merz belässt es lieber bei einem vollmundigen und interpretierbaren „Bauen, bauen, bauen“. Gut, bezahlbarer Wohnraum soll also vor allem dadurch entstehen, dass er gebaut wird. Auch diese Erkenntnis ist nicht unbedingt nobelpreisverdächtig, aber immerhin stimmig.

Viel gefordert, wenig gefördert
Nun ist es ja recht nett, wenn Politiker die Wohnungswirtschaft darüber informieren, dass sie bitte mehr bauen möge. Allein, sie tut es nicht. Die Gründe dafür sind vielfältig. Ein Grund ist sicher, dass Kreditzinsen und Baukosten in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind. Ein weiterer Grund besteht in der ausufernden Bürokratie, die gerade auch mit Blick auf Bauvorgaben und Förderkriterien immer undurchsichtiger geworden ist. Zentral die Notwendigkeit eines klimaneutralen Wohnungsbestandes bis 2045 hat eine wahre Welle an gesetzlichen Regelungen und Vorgaben heraufbeschworen, die das ohnehin schon ambitionierte Ziel in weite Ferne rückt. Statt sich mit Stadtplanern, Versorgern und Wohnungsunternehmen an einen runden Tisch zu setzen und gemeinsam zu überlegen, wie Gebäude klimaneutral mit Wärme versorgt werden können, gibt es unzählige Vorgaben, wie ihre Energieeffizienz gesteigert werden muss. Die Idee, dass die sauberste Energie die ist, die gar nicht erst verbraucht wird, ist sicher nicht falsch. Dennoch sollten Aufwand und Wirkung im Blick behalten werden. Den gesamten Wohnungsbestand auf ein solches Effizienzniveau zu sanieren, wie es im Gebäudeenergiegesetz angedacht ist, kann sich unser Land schlicht nicht leisten. Es wird zu teuer, es fehlen die Fachkräfte und vor allem verfehlt dieser Weg die Klimaneutralität. Ein Beispiel: Eine Verstärkung der Dämmung um 10 Zentimeter spart durch geringeren Energieverbrauch ca. 0,4 Tonnen CO₂ pro Jahr. Sie verursacht bei der Herstellung allerdings 7,9 Tonnen CO₂. Folglich „spart“ sie unterm Strich erst in 20 Jahren wirklich CO₂ ein. Und das auch nur, sofern wir in 20 Jahren weiterhin mit fossilen Brennstoffen heizen, was bekanntlich nicht erstrebenswert ist. Ein grundsätzliches Umdenken fordert beispielsweise die Initiative „Praxispfad CO₂-Reduktion im Gebäudesektor“, die Wege aufzeigt, wie ein klimaneutraler Wohnungsbestand tatsächlich erreicht werden kann, ohne den Bau dringend benötigter, bezahlbarer Wohnungen einzuschränken.
Jetzt aber wirklich!
Was bei Seehofer noch etwas angestaubt „Wohnraumoffensive“ hieß, nennt unsere aktuelle Bundesbauministerin Verena Hubertz jetzt „Bau-Turbo“. Klingt durchaus dynamischer, ob er jedoch auch zündet, wird sich erst noch zeigen. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter diesem Turbo? Herzstück der ganzen Sache ist der neue Paragraph 246e des Baugesetzbuches. Mit ihm „können zusätzliche Wohnungen bereits nach einer zweimonatigen Prüfung durch die Gemeinde, ohne Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplans zugelassen werden“, heißt es auf den Seiten des Bauministeriums. Dieser Ansatz könnte einen Effekt haben, denn tatsächlich entfällt ein nicht unerheblicher Teil der Baukosten auf unendlich lange und wahnsinnig komplizierte Genehmigungsverfahren. Bis zu 20.000 Bauvorschriften können bei Neubauten zum Tragen kommen, da erscheint es als Schritt in die richtige Richtung, wenn zumindest ein paar davon zukünftig entfallen würden. Allerdings gilt auch: Gemeinden dürfen ihre Genehmigungsverfahren nur dann straffen, wenn diese keine erheblichen Umweltauswirkungen mit sich bringen, wenn sie wirklich erforderlich sind und wenn nachbarschaftliche Interessen berücksichtigt werden. Ob und wie die Gemeinden die neuen Freiräume also nutzen werden und wer das Ganze letztlich überprüft, dokumentiert und verkompliziert, bleibt abzuwarten.
Bauen, aber für wen?
Ein weiterer Kritikpunkt am neuen „Bau-Turbo“: Selbst wenn mehr gebaut wird, heißt das noch lange nicht, dass Mehrparteienhäuser mit bezahlbaren Mietwohnungen errichtet werden. Eine entsprechende Beschränkung auf Mehrwohneinheiten ab sechs Wohnungen ist aus dem aktuellen Kabinettsentwurf gestrichen worden. Mit anderen Worten: Vereinfachte Genehmigungsverfahren kämen auch denen zugute, die mit Immobilien schnelles Geld machen möchten. Würde Bauen günstiger, fielen nach dieser Lesart nicht unbedingt die Mieten, sondern die Renditen würden einfach steigen. Dies ist ohnehin das Grundproblem der gesamten Misere: So lange man ein menschliches Grundbedürfnis wie das Wohnen den freien Kräften des Marktes unterwirft, wird es immer Unternehmen geben, die diese Abhängigkeit zur Steigerung des eigenen Profits ausnutzen. Solange genügend Ressourcen verfügbar waren, ist dieser kapitalistische Ansatz auch nicht ganz verkehrt: Ganz im Sinne von Angebot und Nachfrage würde die Nachfrage nach günstigem Wohnraum automatisch ein entsprechendes Angebot schaffen. Nur leider sind die Ressourcen an Bauland, Material und Fachkräften begrenzt. Und somit wird auch bei schnelleren Genehmigungsverfahren gebaut, was den größten Profit verspricht – und nicht, was wirklich gebraucht wird.
Eine gewollte Fehlentwicklung
Dieses markttechnische Dilemma hatten schon die Gründerväter der Bundesrepublik früh erkannt und nach dem Krieg Wohnungsbauunternehmen wie die GSW gezielt gefördert. Niemand sollte sich an der Not der Wohnungssuchenden bereichern, sondern ihnen einfach ein Dach über dem Kopf ermöglichen. Die entsprechenden Unternehmen wurden steuerlich begünstigt, finanziell ausgestattet und erfüllten erfolgreich eine Versorgungsfunktion, die bei einem Grundbedürfnis eigentlich selbstverständlich sein sollte. Doch die ungenutzten Möglichkeiten zur Profitmaximierung weckten Begehrlichkeiten und so wurde die Zahl der Sozialwohnungen ab 1990 Schritt für Schritt abgebaut. Gab es 1987 noch 3,9 Millionen Sozialwohnungen, waren es 2022 nur noch etwa 1,09 Millionen, und es werden immer weniger, denn jedes Jahr fallen ca. weitere 100.000 Wohnungen aus der Sozialbindung. Der Rest wird modernisiert, zu deutlich höheren Mieten angeboten oder gleich in Eigentumswohnungen umgewandelt. Eine Schlüsselerkenntnis zu dieser Entwicklung lautet, dass dies nicht aus Versehen geschah, sondern ganz bewusst von Investoren, Großunternehmen und auch Teilen der Politik gewollt war und mit Einschränkungen auch weiterhin gewollt wird. Die Idee dahinter: Wenn man mit Bauen Geld machen kann, wird gebaut. Die Baubranche boomt, es gibt reichlich Wohnraum und die Kommune freuen sich über dicke Einnahmen durch den Verkauf von Bauland und Steuereinnahmen. Ist doch alles ganz wunderbar oder nicht?
Es ist fünf vor 12!
Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Profitmaximierung um jeden Preis einen hohen Preis zahlt. Denn wenn manche am Bauen, Verkaufen und Vermieten viel Geld verdienen, gibt es andere, die umgangssprachlich „die Zeche zahlen“. Wenn Menschen bis zu 40 % oder noch mehr ihres Einkommens für die Miete aufwenden müssen, fehlt ihnen das Geld für andere Dinge, z. B. eine Altersvorsorge. Hohe Mieten führen somit nicht nur zu Ängsten, Unzufriedenheit und Radikalisierung, sie belasten auch Sozialsysteme und gefährden wirtschaftliche Stabilität, da Konsum und Nachfrage schwinden. Schon in wenigen Jahren könnten auch bei uns Trailer-Parks und Slums wie in den USA zum Alltag gehören. Und jetzt? Die Politik sieht die Gefahr und will offenbar gleichzeitig daran festhalten, dass Großinvestoren auch weiterhin mit Immobilien viel Geld machen können. Doch die Annahme, dass der Markt die Sache von ganz allein regelt, wenn man nur ein bisschen die Rahmenbedingungen verbessert, ist falsch und wird das Problem weiter verschärfen.
Die Lösung könnte so einfach sein
Zum Glück haben wir in Deutschland aufgrund unserer Geschichte eine gemeinwohlorientierte Wohnungswirtschaft. So wie die GSW in Sigmaringen gibt es in fast jeder Stadt Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften, die vor vielen Jahrzehnten mit dem Ziel gegründet wurden, bezahlbaren Wohnraum für einkommensschwache Haushalte bereitzustellen. Hier steht immer der Mensch und nie die Profitmaximierung im Vordergrund. Warum werden diese Unternehmen, die einen gesamtgesellschaftlichen Versorgungs-
auftrag leisten, mit den gleichen Zinsen, Steuern, Baukosten und Regularien belastet, wie ihre profitorientierte Konkurrenz? Die traurige und etwas provokative Vermutung lautet: Weil jene profitorientierte Konkurrenz hervorragende Lobbyarbeit betreibt und gute Kontakte zur Politik pflegt. Denn wäre dem nicht so, gäbe es viele Stellschrauben, mit denen man gemeinwohlorientierte Wohnungsunternehmen unterstützen könnte:



